- Nobelpreis: Die Kür der Kandidaten - Vorschläge, Auswahl und Verleihung
- Nobelpreis: Die Kür der Kandidaten - Vorschläge, Auswahl und VerleihungWenn Wissenschaftler und Literaten im Dezember in aller Welt zur festlichen Nobelpreisverleihung in Stockholm rüsten, sind die Juroren in den in Alfred Nobels Testament genannten Institutionen längst am Werk, die Preisträger für das nächste Jahr zu ermitteln. Die praktische Arbeit bei der Nominierung der Kandidaten fällt den Nobelkomitees zu, von denen es für jeden Preis eines mit je fünf Mitgliedern gibt. Jedes Nobelkomitee bittet im Herbst vor dem Jahr der Preisvergabe einen in den Statuten der Nobelstiftung festgelegten Kreis von Fachleuten formell um ihr Votum. Als ständige Nominatoren gehören dazu alle bisherigen Nobelpreisträger und die jeweiligen Fakultäten aller skandinavischen Universitäten. Hinzukommen jedes Jahr mindestens sechs wissenschaftliche Institutionen in der ganzen Welt sowie geeignete Einzelpersonen.Kandidaten für den Literaturpreis können von früheren Literaturnobelpreisträgern, von Mitgliedern der Schwedischen Akademie und ähnlichen Institutionen, von ausgewählten Universitätsprofessoren für Literatur und Philosophie sowie von Präsidenten repräsentativer Autorenverbände vorgeschlagen werden.Das Vorschlagsrecht für den Friedenspreis haben alle vormaligen Friedensnobelpreisträger, gegenwärtige und ehemalige Mitglieder des Nobelkomitees des Norwegischen Parlaments, Berater des Norwegischen Nobelinstituts, Mitglieder der Parlamente und Regierungen aller Staaten und Mitglieder der Interparlamentarischen Union, Mitglieder des Internationalen Schiedsgerichtshofes in Den Haag, Mitglieder des Ständigen Internationalen Friedensbüros, Mitglieder und assoziierte Mitglieder des Institut de Droit International sowie Universitätsprofessoren der Politologie, Jurisprudenz, Geschichte und Philosophie. Nur Einzelpersonen, die den in den Statuten genannten Körperschaften angehören, haben das Recht, Kandidaten zu benennen. Dazu können weitere, als qualifiziert erachtete Personen um Vorschläge gebeten werden. Auf diese Weise werden jeweils etwa 1000 Personen zur Nominierung eingeladen.Als Nobelpreiskandidaten kommen gleichfalls nur Einzelpersonen infrage. Ausgenommen davon ist der Friedensnobelpreis, der auch an Institutionen und Vereinigungen gehen kann. Offizieller, auch diplomatischer Druck hat keinen Einfluss auf die Auswahl. Die schwedischen Institutionen legen Wert darauf, dass auch informeller Druck interessierter Kreise sie unberührt lässt. Wer sich selbst vorschlägt, wird disqualifiziert. Die befragten Personen werden ermahnt, die Einladung zum Vorschlag vertraulich zu behandeln, um Pressionsversuche zu vermeiden. Die schriftlichen Namensvorschläge müssen zusammen mit der Begründung und den für preiswürdig erachteten, gedruckten Veröffentlichungen des Kandidaten jeweils bis zum 31. Januar bei den jeweiligen Nobelkomitees eingegangen sein, damit sie berücksichtigt werden können.Auswahl der Preisträger und EntscheidungAuf diese Weise kommen bis zum Einsendeschluss am 31. Januar des folgenden Jahres einige hundert preiswürdige Namen zusammen. Alljährlich am 1. Februar beginnen die Nobelkomitees damit, die eingegangene Post zu sichten. Jede ernsthafte Empfehlung wird sorgfältig geprüft. In den Naturwissenschaften kommen je Preis über 200 Vorschläge zustande, die mithilfe von Fachleuten zur Beurteilung des engeren Kreises der Kandidaten bewertet werden müssen. Vor allem skandinavische, aber auch ausländische Fachleute werden um Gutachten gebeten, die bis zum Ende der Sommerferien vorliegen müssen. Im September werden auch die Akademiemitglieder in den Auswahlprozess einbezogen, allerdings nur die Mitglieder der jeweils fachorientierten Klassen. So diskutieren die Mitglieder des Physikkomitees mit den etwa 50 in der Klasse für Physik organisierten Fachkollegen den engeren Kreis der Kandidaten. In einem manchmal kontroversen und langwierigen, bisweilen aber auch zügigen und einfachen Prozess wird ein Vorschlag erarbeitet, der Mitte Oktober der gesamten Akademie zur endgültigen Beschlussfassung unterbreitet wird. In der Regel schließt sich das Plenum der Akademie den Vorschlägen der Experten an.Abweichend von der Akademie werden im Karolinska-Institut die Vorschläge des Nobelkomitees direkt der aus 50 Mitgliedern bestehenden Nobelversammlung dieses Instituts unterbreitet. Bei diesem kürzeren Weg kann es gelegentlich zu Konflikten kommen, insbesondere über die Bewertung der biomedizinischen Grundlagenforschung einerseits und klinisch orientierter, dem Patienten direkt nutzender Arbeiten andererseits. So verwarf 1979 die Nobelversammlung den damaligen, grundlagenorientierten Komiteevorschlag und bestimmte die Erfinder der Computertomographie zu Preisträgern. Dass sich damals hinter verschlossenen Türen eine Kontroverse abgespielt hatte, war nur daran zu erkennen, dass bei der öffentlichen Bekanntgabe des Medizinpreises den wartenden Journalisten keine Pressemitteilung ausgehändigt werden konnte.Die perfekte Mauer der Verschwiegenheit, die die Nobelpreisnominierung bis zur Bekanntgabe der Preisträger umgeben soll, ist beabsichtigt und streng verteidigt. Keinerlei Informationen sollen an die Öffentlichkeit dringen, ehe die endgültigen Entscheidungen gefällt sind. Und selbst dann gibt es nur eine kurze Begründung zur Entscheidung. Der Friedensnobelpreis muss gar nicht begründet werden. Alle Entscheidungen sind endgültig und können nicht angefochten werden.Zum Nimbus des Preises gehört sein Überraschungseffekt: Kein Kandidat soll im Vorhinein wissen, wenn er zum Nobelstar des Jahres auserkoren wird. Alle Laureaten spielen mit und tun bereitwillig so, als habe sie der Preis aus heiterem Himmel getroffen, wenn der ersehnte offizielle Anruf aus Stockholm kommt. Dabei wissen hochkarätige Wissenschaftler meist seit Jahren, wenn sie als Nobelkandidaten gehandelt werden, und erfahren in der Regel von Kollegen, sobald sich ihre Chancen verdichten.Probleme und PannenNöte bei der Preisvergabe haben die Nobelkomitees trotz aller Diskretion und Zurückhaltung zur Genüge. Das gilt nicht nur für die Bereiche Frieden und Literatur, sondern auch für die wissenschaftlichen Sparten. Zwar einigt man sich über die nachweislichen Leistungen von Naturwissenschaftlern und Medizinern häufig leichter als über die ethischen Qualifikationen von Friedenpreiskandidaten und über die künstlerischen Leistungen von Aspiranten auf den Literaturpreis, zumal ihrem Werk laut Vorgabe von Nobels Testament »eine ideale Richtung« zugrunde liegen soll. Dennoch gibt es auch in den wissenschaftlichen Fächern für die Preisrichter zahlreiche Klippen.Schuld sind auch hier die unbestimmten Formulierungen im Testament: So sollten nach dem Willen Nobels die Zinsen aus dem nachgelassenen Kapital in den Wissenschaften »an diejenigen verteilt werden, die im abgelaufenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen erwiesen haben.« Mit der hohen Preissumme wollte Nobel jungen, viel versprechenden Wissenschaftlern in den Steigbügel helfen und ihnen finanzielle Unabhängigkeit geben, damit sie sich in Zukunft ganz ihren Aufgaben widmen konnten.Der Typus des jungen, um seine Anerkennung kämpfenden, gleichwohl unzweifelhaft erfolgreichen Forschers scheint allerdings eine äußerst rare Spezies, die kaum einmal auszumachen ist. Das Durchschnittsalter der Nobelpreisträger liegt denn auch seit der Premiere des Preises im Jahr 1901 praktisch unverändert bei 62 Jahren. Kritiker sagen: An die Belohnung von Greisen, die über die Zeit ihres Schaffens längst hinausgeraten, weithin anerkannt und mit materiellen Mitteln zur Genüge ausgestattet sind, habe Alfred Nobel nie gedacht. Schuld an dieser Fehlentwicklung seien allein die Nobelkomitees, die keinen Mut zum Risiko hätten und niemals auf weniger bekannte, geschweige denn umstrittene Namen bei der Preisverteilung setzten.Auch die zweite Direktive Nobels, die zeitliche Beschränkung der auszuzeichnenden wissenschaftlichen Leistung auf »das Jahr zuvor«, konnten die Nobelkomitees schon wegen des langwierigen Nominierungsprozesses nicht einhalten und sind bereits in den Statuten davon abgewichen. Dort steht geschrieben, dass die Leistungen nicht unbedingt »im Verlauf des vergangenen Jahres« vollbracht worden sein müssen, sondern auch ausgezeichnet werden können, sofern ihre Bedeutung erst im vergangenen Jahr sichtbar geworden ist. In der Regel lässt sich über den Wert oder Unwert wissenschaftlicher Entdeckungen, technischer Erfindungen und medizinischer Verbesserungen erst nach geraumer Zeit abgewogen urteilen. Nur selten ist die Lage dabei so eindeutig, dass man den Terminvorstellungen Nobels nahe kommen kann. Dies war 1987 der Fall, als Georg Bednorz und Alexander Müller nicht einmal zwei Jahre nach ihrer Arbeit über »warme Supraleiter« den Physiknobelpreis erhielten. Seit einem peinlichen Zwischenfall im Jahr 1926 üben sich die Nobeljuroren sonst eher in einer Strategie der Vorsicht und des Abwartens. Damals wurde mit dem Nobelpreis für Medizin ein Aufsehen erregender Fehlgriff getan: Die zunächst als Sensation gewertete Theorie des dänischen Preisträgers Johannes Fibiger, dass sich aus den Stoffwechselnebenprodukten von parasitären Würmern Krebs entwickele, erwies sich zum Entsetzen des Nobelkomitees nicht lange danach als falsch.So nimmt die Nobelstiftung lieber in Kauf, dass ihr die Kandidaten wegsterben, als dass die Komitees eine Entscheidung treffen, bevor eindeutig feststeht, dass Beiträge zum wissenschaftlichen Fortschritt nicht von späteren Ereignissen überrollt werden. Durchschnittlich dauert es 15 Jahre, bis eine bedeutende Entdeckung mit dem Nobelpreis gekürt wird.Einzelkämpfer und Frauen in der MinderzahlNoch in einem dritten Punkt werden die Stockholmer Juroren Alfred Nobels Vermächtnis notgedrungen immer wieder untreu: So wie es von Anfang an praktisch unmöglich erschien, junge Forscher auszuzeichnen und noch dazu für eine im Vorjahr erbrachte Bravourleistung, so erwies es sich im Laufe der Zeit immer mehr als Unding, »Pioniere« für Ein-Mann-Erfolge zu belohnen, wie es dem Stiftungsbegründer eigentlich vorgeschwebt hatte.In den letzten Jahren jedenfalls sind die naturwissenschaftlichen Nobelpreise kaum mehr an Einzelpersonen verliehen worden. Meistenteils werden sie an zwei oder drei Forscher aus einer Gruppe aufgeteilt. Der Franzose Jacques Monod, Medizinpreisträger von 1960, ist einer der wenigen, der ehrlich zugibt, dass ausgerechnet er bei der Preisverteilung das große Los gezogen hat. Er sagt: »An der Arbeit, für die ich den Nobelpreis bekommen habe, haben mindestens 30 Forscher gleichrangig nebeneinander gearbeitet. Keiner von uns hat dabei mehr geleistet als die anderen.«Angesichts zunehmender Kooperation treten erfolgreiche Einzelkämpfer als Wissenschaftlerpersönlichkeiten tatsächlich immer seltener in Erscheinung. Die entscheidenden Etappen in Forschung und Entwicklung werden in wachsendem Maße kollektiv erreicht - häufig von fünf, zehn, ja sogar 80 und mehr Forschern gemeinsam. Derartige Gruppen oder Teams sind aber zu groß, als dass eine Entdeckung noch nach den Statuten prämiert werden könnte. Denn: »In keinem Fall kann ein Preis von mehr als drei Personen geteilt werden.« Damit kommen ganze Bereiche aus Physik, Chemie und Medizin für eine Nominierung nicht infrage, oder es können nur der oder die wichtigsten Köpfe geehrt werden.Pannen scheinen auch bei wissenschaftlicher Arbeitsteilung im kleineren Stil nicht ausgeschlossen. So erhielten 1923 Professor John MacLeod und der junge Arzt Frederick Banting, beide aus Toronto, den Medizinpreis für die Entdeckung des Insulins. Professor MacLeod war jedoch an der Arbeit überhaupt nicht beteiligt und hatte sich zur fraglichen Zeit im heimatlichen Schottland aufgehalten. Übersehen wurde dagegen Charles Best, gleichfalls ein junger Arzt, der gemeinsam und gleichberechtigt mit Banting gearbeitet und publiziert hatte. Im Gegensatz zu Professor MacLeod war Banting generös genug, aus eigener Initiative seinen Preis mit Best zu teilen und die Goldmedaille durchzusägen. Best durfte seither als inoffizieller Preisträger an zahlreichen Nobelfeiern teilnehmen.Ein ähnlicher Fall endete misslicher: Weniger großzügig nämlich erwiesen sich die beiden amerikanischen Physiker asiatischer Abkunft Tsung Dao Lee und Chen Ning Yang, die 1957 gemeinsam den Nobelpreis in ihrem Fach erhielten. Ihre Kollegin, die chinesische Physikerin Wu, Professorin an der New Yorker Columbia University, hatte Entscheidendes zur Anerkennung der wissenschaftlichen Leistung von Lee und Yang beigetragen. Denn sie allein war es, die mit einem raffinierten Experiment die höchst gewagten theoretischen Spekulationen der beiden Männer bewiesen hat. Mit fatalem Ergebnis: Lee und Yang wurden binnen Jahresfrist mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Die kluge Frau Wu dagegen hatte das Nachsehen.Dabei hatte Alfred Nobel in seinem Vermächtnis ausdrücklich auch Frauen berücksichtigen wollen und in der ersten Fassung seines Testaments vom 14. März 1893 noch explizit geschrieben: »Es ist mein ausdrücklicher Wunsch, dass alle in diesem Testament in Aussicht genommenen Preise dem Verdienstvollsten zuerkannt werden, ohne die geringste Rücksicht darauf, ob er Schwede oder Ausländer, ob er Mann oder Frau ist.« Die rund 700 Nobelpreise im ersten Jahrhundert der Verleihung spiegeln ziemlich genau jene intellektuelle Arbeitsteilung wider, nach der Frauen in den Naturwissenschaften kleine Minderheiten sind. In Physik, Chemie und Medizin stellen weibliche Forscher nach wie vor nur bescheidene zwei Prozent aller Nobelpreisträger. Beim Literatur- und beim Friedenspreis kommen Frauen immerhin auf etwa zehn Prozent.Nobels Auflage, der Preis solle nur solchen Persönlichkeiten zufallen, die im vergangenen Jahr »der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben«, scheint eine gleichfalls heikle, schwer interpretierbare Formel. Manch eine Entdeckung nämlich, die zunächst nur von marginaler Bedeutung war, hat mit der Zeit hervorragenden praktischen Wert gewonnen. Andererseits hat der Lauf der Geschichte nicht selten segensreiche Fortschritte der Wissenschaft nach und nach in Furcht und Schrecken verkehrt. Das galt beispielsweise für den Medizinnobelpreis von 1948. Der Schweizer Paul Müller hatte ihn für die Entdeckung der hohen Wirksamkeit von DDT als Insektengift bekommen, weil dadurch die Ausrottung vieler gefährlicher Krankheiten wie etwa der Malaria in den Bereich des Möglichen gerückt war. Zwei Jahrzehnte später wurde DDT als Ursache einer weltweiten Umweltkrise identifiziert und seine Verwendung bald darauf in den Industrieländern verboten.Derartige Schwierigkeiten tun allerdings der Überzeugung des Nobelkomitees keinen Abbruch, dass es sich dabei um eine einst sehr nützliche und damit nobelpreiswürdige Entdeckung gehandelt habe. In Stockholm verficht man auch weiterhin die Meinung, dass ein Nobelkomitee gar nicht erst anfangen solle, bei einer Entdeckung mit möglichen Fehlentwicklungen zu rechnen. Denn Skrupel irgendwelcher Art ließen sich fast immer anmelden, und das würde die ganzen Nobelpreise nichtig machen.Tadel und KritikStreit um die Wahl der Preisträger in der Wissenschaft gibt es alljährlich auch, weil heutzutage angeblich die preiswürdigen, großen Taten fehlen. Den Nobelkomitees wird der Vorwurf gemacht, sie kämen immer mehr von der Kür eines einzigen ersten Preises in Physik, Chemie und Medizin ab und würfen stattdessen mit schöner Regelmäßigkeit drei kleine, sozusagen »dritte« Preise für voneinander unabhängige Forschungen aus. Diese Praxis sei eine Notlösung, die Alfred Nobels Intentionen zuwiderlaufe.Als unangenehm wird außerdem empfunden, dass die Nobelpreise nur für die klassischen Fächer verliehen werden, unsere heutige Welt aber viel komplexer ist. Tatsächlich existieren manche neue Disziplinen wie die Ökologie für die Nobeljuroren deshalb nicht, weil die Statuten eine Beschäftigung damit nicht hergeben. Anstatt die strengen Kriterien der Nobelpreise aufzuweichen, verweist die Wissenschaftsakademie darauf, dass sie seit 1980 den von einem schwedischen Industriellen gestifteten »Crafoord-Preis« verleiht, der Disziplinen wie Geo- und Biowissenschaften berücksichtigt. Dieser ebenfalls jährlich vergebene Preis ist zurzeit mit 500 000 Dollar dotiert. Es liegt nicht an der Akademie, sondern an der beschränkten Wahrnehmung der Öffentlichkeit, vielleicht aber auch an dem fehlenden traditionellen Zeremoniell, dass dieser Preis nicht annähernd die Reputation der Nobelpreise erlangt hat.Ganz anders ist das große öffentliche Interesse an dem finanziell weitaus bescheideneren Preis der »Right Livelihood-Foundation«: Dieser Preis wird alljährlich in Stockholm just am Tag vor dem Nobelfest an drei oder vier Empfänger für Verdienste auf dem Gebiet von sozialer Gerechtigkeit, Minderheitenschutz, Abrüstung und alternativer Technologien verliehen und deshalb in den Medien als »alternativer Nobelpreis« bezeichnet. Die Nobelstiftung sieht über die Konkurrenz hinweg, obwohl es ihr vermutlich lieber wäre, wenn der Preis ohne die Erwähnung von Nobels Namen vergeben würde.Getadelt an den Entscheidungen der Nobelkomitees wird nicht nur, dass sie bestimmte Forschungsgebiete ganz übersehen, sondern auch andere bevorzugen. So werden zuweilen zeitlich gehäuft Auszeichnungen für nahe beieinander liegende Themen vergeben, wie im Fall der Nobelpreise für Medizin 1975 und 1976, die an insgesamt fünf amerikanische Forscher für Arbeiten über Viren gingen. Als sich Baruch S. Blumberg und Daniel Charleton Gajdusek 1976 den Medizinpreis teilten und alle Welt bei ihren Entdeckungen an einen neuen Zugang zum Verständnis von Infektionen durch langsame Viren im Hinblick auf Schafs- Scrapie und die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit beim Menschen dachte, sprach das vorsichtige Nobelkomitee des Karolinska-Instituts in seiner Preisbegründung allerdings nur von einer »Entdeckung, betreffend neue Mechanismen für den Ursprung und die Ausbreitung infektuöser Krankheiten«. Es lag auf der Hand, dass an diese Entdeckung große Erwartungen hinsichtlich der Bekämpfung spongioformer Enzephalopathien geknüpft wurden. Inzwischen hat sich gezeigt, dass nicht die langsamen Viren die Ursache für Hirnveränderungen wie Rinderwahn oder Creutzfeldt-Jakob-Krankheit sind, sondern veränderte Eiweißkörper, die Prionen, für die der Amerikaner Stanley Prusiner 1997 wiederum den Medizinnobelpreis erhielt.So wie in den ersten Jahrzehnten der Nobelpreisverleihung Deutsche die meisten wissenschaftlichen Preise einheimsten, haben seit dem Zweiten Weltkrieg vor allem amerikanische Wissenschaftler in Stockholm das Rennen gemacht. Tatsächlich spiegelt die Nationenbilanz der wissenschaftlichen Nobelpreise ziemlich gut die aktuelle Vitalität und Stärke der Forschung einzelner Staaten. Zum Bild heute gehört das forschungspolitische Ungleichgewicht zwischen den Vereinigten Staaten und Europa, zwischen Industrienationen und Entwicklungsländern.Allerdings existiert die Dritte Welt auch im Bereich der Literatur für die schwedischen Juroren nur am Rande, und lediglich Entscheidungen des norwegischen Komitees für den Friedenspreis kompensieren gelegentlich das Bild einseitiger Nationenwertung im Nord-Süd-Gefälle. So ist wohl der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, dass es bei der Verleihung der Nobelpreise trotz unzweifelhafter Berücksichtigung von überragender, individueller Leistung nicht ohne Proporzdenken und ohne den Einfluss guter Freunde geht. Inwieweit das im Einzelnen der Fall ist, lässt sich für Außenstehende kaum ausmachen. Unentschieden bleibt bei strittigen Entscheidungen der Komitees die Frage, ob es in den betreffenden Fächern an geeigneten Vorschlägen mangelte, ob im Auswahlkomitee bestimmte Fraktionen besonders starken Einfluss errungen hatten oder ob es im Fach einfach an entscheidenden Fortschritten und interessanten Entwicklungen fehlte.Lückenhaftigkeit in der Wahl wird dabei allen Komitees vorgeworfen. Besonders ins Gerede gekommen ist in letzter Zeit die Schwedische Akademie, deren Komitee für den Literaturnobelpreis verantwortlich ist. Ihre Entscheidungen werden in jedem Herbst stets aufs Neue als Konsequenzen einer systematisch betriebenen Kulturpolitik, persönlicher Vorlieben und interner Intrigen gedeutet. Offenbar tut sich die Akademie, die seit jüngsten Enthüllungen aus ihrer Mitte als Schlangennest gilt, mit ihren Beschlüssen besonders schwer. Angeblich tobt dort hinter den Kulissen der Kampf um Länderproporz, Positionen und Personen besonders heftig.Die NobelfeiernInzwischen sind die Nobelpreise zum international renommierten Markenartikel Schwedens und zum außenpolitischen Werbeposten geworden: Jedes Jahr am 10. Dezember, wenn an Alfred Nobels Todestag in Stockholm feierlich die Preise für Physik, Chemie, Medizin, Wirtschaftswissenschaften und Literatur verliehen werden und gleichzeitig in Oslo der Friedenspreis vergeben wird, schaut die ganze Welt nach Nordeuropa, und alle Nachrichtensendungen in Funk und Fernsehen und alle Zeitungen berichten über die Nobelfeiern. In Schweden selbst hat das Ereignis im Lauf der letzten 100 Jahre den Charakter eines Nationalfeiertags erlangt.Die Preisträger pflegen bereits einige Tage vorher nach Stockholm oder Oslo anzureisen, um ihre einzige, mit der Ehrung verbundene Pflicht zu erfüllen, nämlich in der Nobelvorlesung vor dem preisverleihenden Gremium über ihre preisgekrönte Arbeit zu berichten. Die Vorträge können allerdings auch bis zu sechs Monate später gehalten werden. Seit dem Beginn im Jahre 1901 sind sie lückenlos in der Schriftenreihe der Nobelstiftung »Les Prix Nobel« abgedruckt.Die eigentliche Preisverleihung, der Höhepunkt der Preisträgerwahl, ist eine höchst festliche Zeremonie in Frack und Grande Robe am späten Nachmittag des 10. Dezember, bei der den Preisträgern Nobelgoldmedaille und Diplom feierlich überreicht werden. Früher gab es dazu auch den Scheck über das Preisgeld in die Hand. Heute wird die geldliche Seite per Banküberweisung erledigt und rechtzeitig die Kontonummer erfragt.In Stockholm findet die Preisverleihung seit den 1920er-Jahren in der damals neu erbauten Konzerthalle statt, und die Laureaten nehmen die Preise für Physik, Chemie, Medizin, Literatur und inzwischen auch Wirtschaftswissenschaften vom König höchstpersönlich entgegen. In Oslo geht es demokratischer zu: Den Friedenspreis übergibt der Vorsitzende des norwegischen Nobelkomitees und zwar in der dortigen Universität. Aber auch in der norwegischen Hauptstadt ist die königliche Familie anwesend.In Stockholm schließt sich an die feierliche Preisverleihung ein pompöses Bankett mit Ball für die Nobellaureaten und ihre Familien an. Das glitzernde Fest im Blauen Saal der Stadthalle gilt als gesellschaftlicher Höhepunkt der Saison in der schwedischen Hauptstadt. Mit dabei sind auch hier der König und die Königin sowie andere Mitglieder des Königshauses und Vertreter der schwedischen Regierung und des Parlamentes. In jedem Jahr entbrennt aufs Neue ein Kampf, mit zu den insgesamt 1300 Geladenen gehören zu dürfen. Die Zahl schließt 250 durch Los ermittelte, weißbemützte Studenten in Abendgarderobe ein, die den Gästen den Weg zu ihren Sitzen an den langen, verschwenderisch mit Kristall, Silber und Blumen aus San Remo gedeckten Tafeln weisen. Das Bankett beginnt um Punkt sieben Uhr abends mit lautem Fanfarenklang, der den Einmarsch der Majestäten, Laureaten und Ehrengäste von der Ballustrade die Freitreppe hinunter in den Saal ankündigt. Als Erster kommt der König und an seinem Arm traditonellerweise die Frau des Physikpreisträgers. Die nächsten drei Stunden verbringt die Festgesellschaft mit einem aufwendigen Menü, dessen Speisenfolge bis zu diesem Abend ein wohlgehütetes Staatsgeheimnis ist. Zum Essen gibt es tänzerische und musikalische Darbietungen und zum Eisdessert mehr oder weniger launige Dankesworte der Laureaten an die schwedischen Gastgeber. Danach wird im Goldenen Saal getanzt. Das Königspaar zieht sich in die Prinzengalerie zurück, wo die frisch geehrten Nobelpreisträger und ihre Familien zum Small Talk vorbeikommen dürfen: Der vornehmste Titel der internationalen Geistesaristokratie pflegt auch äußerlich gern die Nähe zum Adelsprädikat.Ulla Fölsing
Universal-Lexikon. 2012.